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Wenn es um Arbeitssicherheit geht, beschränken sich die meisten Unternehmen darauf, geltende Vorschriften einzuhalten und rückblickende Indikatoren wie Unfallhäufigkeit und -schwere auszuwerten. Das ist verständlich – ist doch die Wahrung der Compliance allein schon ein aufwändiges Unterfangen, vor allem für große Unternehmen.

Doch dieser Ansatz ist nicht unproblematisch. Daniel Ramelsberger von MAN Truck & Bus gibt zu bedenken, dass Unternehmen ihre eigenen Möglichkeiten, Fortschritte zu erzielen, begrenzen, wenn sie das Thema Sicherheit bloß auf einige Standard-KPIs reduzieren. Arbeitssicherheit droht zu einer reinen Formübung zu werden, bei der es vor allem um das Aufstellen und Durchsetzen von Regeln geht. Ein kürzlich erschienener Artikel im Harvard Business Review resümiert, dass Unternehmen mehr Nachhaltigkeit und eine bessere Unternehmensleistung erzielen können, wenn sie Sicherheit als wertsteigernden Faktor ansehen und nicht in erster Linie als Compliance-Aspekt.

Im Folgenden stellen wir fünf Grundsätze für die Entwicklung einer positiven, kollaborativen Sicherheitskultur vor – einer Kultur, die auf Prävention setzt, zu sicherem Verhalten motiviert und dem Unternehmen und allen Mitarbeitenden zusätzliche Vorteile eröffnet.

Wie diese Grundsätze in der Praxis lebendig werden, zeigen wir anhand von MAN Truck & Bus, einem Unternehmen, das seine Sicherheitskultur mithilfe einer dazu berufenen Abteilung transformiert hat: Corporate Safety Solutions (CSS), geleitet von Daniel Ramelsberger.

MAN Truck & Bus

MAN Truck & Bus ist einer der führenden europäischen Nutzfahrzeughersteller und Anbieter von Transportlösungen mit jährlich rund 14,8 Milliarden Euro Umsatz (2023). Das Produktportfolio umfasst Transporter, Lkw, Busse, Diesel- und Gasmotoren sowie Dienstleistungen rund um Personenbeförderung und Gütertransport. MAN Truck & Bus ist ein Unternehmen der TRATON GROUP und beschäftigt weltweit ca. 33 000 Mitarbeitende.

Sicherheitslösungen für Unternehmen bei MAN

Daniel Ramelsberger

Leiter der Arbeitssicherheit bei MAN Truck & Bus

Corporate Safety Solutions (CSS) wurde 2021 innerhalb von MAN Truck & Bus gegründet. Die Initiative ging vom Arbeitssicherheits-Team am Standort München aus, als Ideen dafür entwickelt wurden, wie der Arbeitsschutz auf bessere Weise realisiert werden könnte. Zielsetzung war, ein breiteres Verständnis von Arbeitssicherheit zu erreichen, Präventionsarbeit sichtbar zu machen und kulturellen Wandel voranzubringen. Heute arbeitet CSS mit verschiedenen Unternehmensbereichen zusammen, um die Sicherheitskultur bei MAN gemeinsam zu gestalten.

1. Eine klare Vision und Instrumente zur Umsetzung verankern

Um Menschen für einen kulturellen Wandel zu gewinnen, bedarf es einer gemeinsamen Vision – einer Vision, die spezifisch ist, die motiviert und einen klaren Nutzen verspricht. Ein individuelles Set aus Indikatoren, das Arbeitssicherheit multidimensional (be-)greifbar macht und die Rahmenbedingungen des Unternehmens berücksichtigt, hilft, den Weg zum Ziel zu bereiten und konsequent zu verfolgen. Dabei sollte es sich um eine begrenzte Anzahl relevanter Kennzahlen handeln, die durch die Beteiligten auch tatsächlich beeinflusst werden können. So sind Sinnhaftigkeit und Machbarkeit gegeben.

Wichtig ist, dass solche KPIs mehr liefern als nur Zahlenwerte: Sie bilden die Basis für das unternehmenseigene und -weite Verständnis von Arbeitssicherheit, für die Abstimmung und Weiterentwicklung anhängender Themen. Sie tragen dazu bei, das Mindset – sprich: die Haltung und Einstellung – der Mitarbeitenden zu prägen.

CSS hat die eigene Vision mit dem Safety Performance Index (SPI) verknüpft, einem intern entwickelten Instrument, das die Bereiche Compliance, Prävention, Verhalten und Retrospektive abdeckt. Jeder dieser vier Teilindizes ist mit fünf Indikatoren verbunden, die in Anlehnung an die Bradley-Kurve in vier Stufen bewertet werden können. Stufe 1 spiegelt eine rein reaktive Sicherheitskultur wider. Auf Stufe 4 ist Sicherheit eine Selbstverständlichkeit, bei der jeder auf sich und andere achtet.

Zur initialen Definition des SPIs wurden alle relevanten Stellen bei MAN einbezogen, CSS sammelte in mehreren Workshop-Runden Input. Auf diese Weise konnten KPIs identifiziert werden, die von wirklicher Bedeutung für MAN sind und auf eine breite Akzeptanz im gesamten Unternehmen stoßen. Daniel weist darauf hin, dass es hierbei nicht nur auf das „Was“, sondern auch das „Wie“ ankommt: „Unterweisung, Begehung, Gefährdungsbeurteilung – das sind Begriffe, die kennt im Arbeitsschutz jeder. Aber wenn du fragst, was eine gute Gefährdungsbeurteilung ist, bekommst du von jedem eine andere Antwort. Mit dem SPI haben wir eine eindeutige Beschreibung und Vergleichsgrößen für alle geschaffen.“

Insgesamt möchte das Unternehmen seine Vision mit zwei übergreifenden Zielen verwirklichen: Erreichen der Stufe 3 auf dem Safety Performance Index bis 2025 und der Stufe 4 bis 2030. Der lange Zeithorizont ist realistisch gewählt: „Kultur änderst du nicht in zwei Jahren“, sagt Daniel. „Kultur braucht Zeit.“

2. Strukturelle Silos auflösen und die Zusammenarbeit stärken

Arbeitssicherheit als eine Zusatzaufgabe anzusehen, die vom Tagesgeschäft losgelöst ist, wird der Sache nicht gerecht: Kultur ist kollaborativ, und Silos sind ein Hindernis für die Zusammenarbeit. Unternehmen werden ihre Sicherheitskultur kaum weiterentwickeln können, solange sie die zugehörigen Funktionen bzw. Abteilungen isoliert halten.

Durchdringt das Thema Sicherheit das gesamte Unternehmen von der Führungsebene bis zur Produktion, fühlen sich auch alle mitverantwortlich. Dies ist Voraussetzung für eine Kultur, in der Sicherheitsaspekte automatisch in das tägliche Verhalten integriert sein sollen. Um einen Strukturwandel in diese Richtung voranzubringen, ist Kommunikation mit diversen Stakeholdern nötig.

Mit dem CSS-Team hat MAN eine Schnittstelle geschaffen, die dem Thema Sicherheit mehr Sichtbarkeit und Gehör verleiht. Das obere Management sowie die rund 60 Arbeitssicherheitsfachkräfte der verschiedenen Standorte sind agil angebunden. Entscheidend ist, dass das CSS-Team die nötige Fachexpertise auch selbst besitzt, um globale Leitplanken für die Arbeit aller Fachkräfte zu erstellen. Innerhalb des vorgegebenen Rahmens kann jeder Standort seine Maßnahmen für den Arbeitsschutz frei gestalten.

Bei dieser Arbeit unterstützt CSS die Fachkräfte durch Coaching. So lassen sich Fragen zur Sicherheitskultur erörtern, bspw. wie unsicheres Verhalten am besten adressiert oder mehr Sicherheitsbewusstsein im Team geschaffen wird. Für das C-Level veranstaltet CSS Workshops, die zum Teilen von Erfahrungen und Ergebnissen sowie der Festlegung von Zielen dienen. Und, was besonders wichtig ist: Es finden globale Meetings zwischen der Führungsebene und allen Gesundheits- und Sicherheitsexperten statt, in denen sich einzelne Personen direkt zu Wort melden können, wenn sie ein entsprechendes Anliegen haben.

Dieser Ansatz hat den gewünschten Effekt gebracht: ein Gemeinschaftsgefühl in Sachen Sicherheit. „Es gibt jetzt einen viel engeren Austausch, ein viel engeres Netzwerk als früher“, sagt Daniel.

3. Ein neues Mindset und Austausch auf Augenhöhe schaffen

Kultureller Wandel bedingt, neue Perspektiven einzunehmen. Dies gelingt am besten in einem Umfeld, das alle gleichermaßen in die Arbeitssicherheit einbezieht und verstehen lässt, warum der Wandel stattfindet und wie jeder seinen Teil dazu beitragen kann.

Nach Konzept von CSS sind Arbeitssicherheitsexperten kollaborative Coaches und nicht Berater aus der Distanz. Anstatt lediglich Warnungen auszusprechen, allgemeine Lösungsansätze vorzuschlagen und die Entscheidungen den Führungskräften zu überlassen, werden die Sicherheitsexperten von MAN ermutigt, sich als Partner zu verstehen, die andere im Dialog unterstützen und Sicherheitsbelange selbst steuern können.

Die Mitarbeitenden berücksichtigt der Safety Performance Index als Experten auf ihrem jeweiligen Gebiet: Um die höchste Stufe im SPI zu erreichen, müssen Führungskräfte ihre Mitarbeitenden aktiv einbeziehen. Beispielsweise ist zu vermeiden, dass es bei Sicherheitsschulungen vor allem darum geht, am Ende einen Haken auf die Teilnehmerliste setzen zu können. Besser befragen Manager ihre Mitarbeitenden offen, welche Risiken sie an ihrem Arbeitsplatz selbst wahrnehmen und welche Schutzmaßnahmen sie daher für sinnvoll halten. Dies trägt dazu bei, Sicherheitsbewusstsein in tägliche Routinen zu übertragen und dem Arbeitsschutz eine konkrete, nachvollziehbare Bedeutung zu verleihen, die zur weiteren thematischen Auseinandersetzung anregt.

Von mehr Einbezug und Pragmatismus profitieren alle: „Einer der größten Vorteile des SPIs ist, dass er Arbeitssicherheit endlich transparent macht“, sagt Daniel. Die enthaltenen KPIs definieren genau, wie gelungene Arbeitssicherheit für MAN aussieht, und die Kriterien, um sich von Stufe zu Stufe zu verbessern, sind eindeutig. Dies steigert die Motivation und sorgt dafür, dass alle am gleichen Strang ziehen.

4. Daten erheben, um Fortschritte darzustellen und voranzutreiben

Sobald ein Unternehmen die Eckpfeiler seiner Sicherheitskultur aufgestellt und ausschlaggebende Kennzahlen definiert hat, sind die KPIs an jedem Standort regelmäßig per Befragung zu prüfen. Damit Entwicklungen über die Zeit abgelesen werden können, sollte Kontinuität innerhalb der Fragebögen gewahrt bleiben. Eine vollständige und gepflegte Datenbasis ist ebenfalls ein Muss für aussagekräftige Ergebnisse.

MAN verwendet die Softwarelösung AMCS EHS Management, um seine Sicherheitskultur digital zu modellieren. HSE-spezifische Funktionen erleichtern es, Vorschriften einzuhalten und gleichzeitig präventive und verhaltensbezogene Daten zu erfassen: Manager können Beobachtungen von sicheren oder unsicheren Situationen mit nur wenigen Klicks übermitteln – zum Beispiel per mobiler App. „Sie müssen nicht mehr alles auf Papier festhalten und manuell berechnen“, erklärt Daniel.

Er ergänzt, dass diese Daten nahtlos in die Nachhaltigkeitsberichte von MAN einfließen können, die das Unternehmen gemäß der europäischen Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) erstellen muss. Mit anderen Worten: Die Digitalisierung der Sicherheitskultur hilft MAN ebenfalls bei der Compliance gegenüber den umfassenden Nachhaltigkeitspflichten. „Was wir mit dem Safety Performance Index abbilden, unterstützt die CSRD-Datenpunkte, weil es dabei auch um Prävention und weichere Faktoren geht als nur die Unfallraten.“

Ein zentrales HSE-Datensystem, das MANs gemeinsames Commitment folgerichtig auf der Tool-Ebene fortsetzt, liefert nicht nur valide Insights für das rückblickende Reporting. Daneben ermöglicht es die strategische Anbindung und zielgerichtete Steuerung künftiger Maßnahmen, korrektiv wie präventiv. „Wenn du keine Kennzahlen und kein System hast, dann realisierst du in der Regel viele Einzelmaßnahmen, die nicht zusammenhängen. Bei MAN wollen wir Arbeitsschutz dagegen ganzheitlich angehen“, erläutert Daniel. Dies bedeutet auch, Entwicklungspotenziale und -felder im Arbeitsschutz differenziert identifizieren zu können, bewusst Schwerpunkte zu setzen und diese ergebnisorientiert zu verfolgen.

5. Vorteile für die Performance des Unternehmens nutzen

In erster Linie hat Arbeitssicherheit den Zweck, Menschen zu schützen, doch eine positive Sicherheitskultur zahlt sich auch finanziell für Unternehmen aus: Mangelhafter Arbeitsschutz hat die Gemeinschaft, Arbeitgeber und Einzelpersonen in den USA 2019 schätzungsweise 171 Milliarden Dollar gekostet – wohingegen optimierter Arbeitsschutz die Produktivität und Rentabilität steigern kann.

Wie Daniel sagt, benötigt kultureller Wandel Zeit, doch mit CSS ist MAN auf dem besten Weg: Die Unternehmensleitung ist komplett involviert und betrachtet Aktivitäten und Kommunikation rund um das Thema Arbeitssicherheit als integralen Bestandteil des Unternehmens. Führungskräfte kommen inzwischen selbst proaktiv auf die Arbeitssicherheitsfachkräfte zu, um sie um Rat und Bewertung zu bitten, um beurteilen zu können, ob Verbesserungen erreicht wurden, und um planen zu können, worauf der Fokus als Nächstes gelegt werden soll.

Daniel ist davon überzeugt, dass eine positive Sicherheitskultur erheblich zur Qualitätssteigerung beiträgt: „Erfolg bedeutet für uns, dass wir äußerst wenige Unfälle haben und keine gesundheitlichen Einschränkungen oder Belastungen. Das führt zu weniger Fehlzeiten und einer hohen Verbundenheit mit dem Unternehmen. Und das führt wiederum zu einem hohen Qualitätsniveau, das auch die Kunden erkennen und bereit sind zu bezahlen.“

Arbeitssicherheitsfachkräften, die im eigenen Unternehmen eine innovative, lebendige Sicherheitskultur etablieren möchten, rät Daniel, zuerst eine klare Idee davon zu formulieren, was wie warum verändert werden soll. Definieren Sie Instrumente und holen Sie die Chefetage an Bord. Danach ist es am besten, praktisch loszulegen und Dinge auszuprobieren. Sie werden sich einem großen Projekt gegenübersehen, doch „warten Sie nicht auf den richtigen Moment. Er wird nicht kommen, Sie müssen einfach anfangen“, ermutigt Daniel.

Wenn Sie damit anfangen möchten, Prozesse und Kenndaten der Arbeitssicherheit effizient digital zu verwalten, informieren Sie sich noch heute über AMCS EHS Management. Die modulare Lösung umfasst die EHS Platform, die alle Themen aus dem Gesundheits-, Arbeits- und Umweltschutz in einem zentralen System vereint, die EHS App für das schnelle und einfache Erledigen von Aufgaben, wenn Sie unterwegs sind, und EHS Analytics mit KPI-Analysen auf höchstem Level.

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